Autismus

Was sind Autismus-Spektrum-Störungen?

Störungen unterschiedlichen Schweregrades und mit unterschiedlicher Beeinträchtigung, aber mit typischen Symptomen und Verhaltensmerkmalen.

Früher hat man nur von „Autismus“ gesprochen und verschiedene Typen voneinander getrennt, so z.B. den frühkindlichen (Kanner-) Autismus und den Asperger-Autismus. Heutzutage weiß man, dass die Trennung oft nicht so eindeutig möglich ist und die Symptome eher in unterschiedlicher Ausprägung vorliegen. Daher spricht man heute von Autismus-Spektrum-Störungen unterschiedlichen Schweregrades mit unterschiedlichen zusätzlichen Beeinträchtigungen.

Autistische Verhaltensweisen sind bereits in früher Kindheit vorhanden und erkennbar. Sie werden umso deutlicher, je mehr die sozialen Anforderungen mit dem Alter zunehmen. Die Verhaltensweisen bekommen dadurch Krankheitswert, dass sie den familiären, sozialen, schulischen oder beruflichen Alltag beeinträchtigen.

Symptome

Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) werden durch die Abweichung von Verhaltensweisen definiert:

  • in dem gemeinsamen Miteinander – der „sozialen Interaktion“
  • in Sprache und Kommunikation
  • bei Interessen und Aktivitäten.
Die beiden Bereiche der sozialen Interaktion und Sprache und Kommunikation werden als ein gemeinsames Merkmal unter „sozialer Kommunikation“ bei der diagnostischen Einordnung zusammengefasst.

Bereich „Soziale Kommunikation

Typische Symptome bzw. Merkmale sind:
Besonderheiten der sozialen und emotionalen Wechselseitigkeit (z. B. ungewöhnliche soziale Annäherung; kein normales, geregeltes, wechselseitiges Gespräch; verringertes Teilen von Interessen, Emotionen und Affekt; Anstoßen oder Erwidern sozialer Interaktion kann fehlschlagen)
Auffälligkeiten der nichtsprachlichen Kommunikation (z. B. wird nichtsprachliche Kommunikation nicht unterstützend genutzt; weniger oder kein Augenkontakt oder weniger Körpersprache; auch Einschränkungen beim Verstehen und Einsetzen von Gestik und Mimik; Fehlen von gezielt eingesetztem Gesichtsausdruck)
Auffälligkeiten in der Gestaltung von Beziehungen: Defizite in der Entwicklung, dem Erhalten und dem Verständnis von Beziehungen (z.B. Schwierigkeiten, Verhalten an den sozialen Rahmen anzupassen, sich in Rollenspiele hineinzuversetzen, Freunde zu finden bzw. Interesse für Gleichaltrige aufzubringen).

Bereich „Restriktive, repetitive Verhaltensweisen, Interessen und Aktivitäten“

Typische Symptome bzw. Merkmale sind:

Einförmige, sich wiederholende Verhaltensweisen auf Bewegungs-, Sprach- und Spiel-Ebene (z. B. Händeflattern; Aufreihen von Spielsachen oder Umdrehen von Gegenständen; Wiederholen von Gesagtem; Gebrauch eigenartiger Phrasen)
Eingeschränkte/intensive Interessen (z. B. starke Bindung an ungewöhnliche Objekte; Spezialinteressen)
Bestehen auf Routine (z. B. gleicher Weg, gleiches Essen, Bevorzugung nur weniger Nahrungsmittel, Auftreten extremen Stresses bei kleinen Veränderungen; sehr starre Denkmuster; spezielle Grußrituale)
Über- oder Unterempfindlichkeit gegenüber äußeren, fühlbaren Reizen, oder Suchen spezieller äußerer Reize (z. B. Gleichgültigkeit gegenüber Schmerz- oder Temperaturreizen; starke Reaktionen auf bestimmte Geräusche oder Oberflächenbeschaffenheiten; häufiges Riechen oder Anfassen von Objekten; Faszination von Lichtern und Bewegungen)

Veränderungen der Symptome des Autismus mit dem Lebensalter

Die Symptome des Autismus sind im Erwachsenenalter stabil im Kindesalter aber einer Entwicklung unterworfen. In der aktuellen diagnostischen Einordnung werden die Symptome der Autismus-Spektrum-Störung deshalb über die Lebensspanne detaillierter dargestellt und auch ein späterer Beginn des auffälligen Verhaltens nach dem Alter von drei Jahren, sowie die Möglichkeit weiterer parallel auftretender psychischer Störungen (z.B. ein ADHS) zugelassen. Im Kindesalter ist folgende Entwicklung der endgültigen Symptomatik mit dem Entwicklungsverlauf des Kindes zu beobachten:

Säuglinge (<12 Monate)

Die Symptome sind noch unspezifisch wie z.B. ein besonders ruhiges und „pflegeleichtes“ Verhalten einerseits oder eine Tendenz zu Schreiverhalten und Regulationsschwierigkeiten andererseits. Bei genauer Beobachtung kann die frühe Interaktion aber schon abweichend sein.

Zweites Lebensjahr

Hinweisend sind ein verringertes Verfolgen der Blickrichtung einer anderen Person, ein mangelnder Blickkontakt, seltenes oder fehlendes Zeigen mit dem Finger, eine abgeschwächte oder fehlende Reaktion auf das Gerufen-Werden und ein Rückschritt oder Verlust bereits erworbener Fähigkeiten in der Sprache oder sozialen Interaktion, außerdem ein geringes oder fehlendes „Als-ob“-Spiel.

Kleinkind- und Vorschulalter

Stärkste Hinweise auf eine Autismus-Spektrum-Störung (ASS) sind weiterhin Abweichungen im Blickkontakt, geringes oder fehlendes „Als-ob“-Spiel, keine Zeigegesten oder keine Reaktion auf Zeigegesten sowie Rückschritt oder Verlust bereits erworbener Fähigkeiten in der Sprache oder sozialen Interaktion. Zu beobachten sind auch stereotype Verhaltensmuster wie Bewegungsstereotypien mit Wedeln, Kratzen, Zehenspitzengang, Handbewegungen, Hüpfen auf der Stelle, Klopfen.
Im weiteren Entwicklungsverlauf kommen dann neben einförmigen (stereotypen) Verhaltensweisen noch sensorische Auffälligkeiten, deutliche Veränderungsängste, auffällige Reaktionen auf Annäherung anderer Kinder und ein eingeschränktes Fantasiespiel hinzu. Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen sprechen selten, nur um freundlich oder gesellig zu sein, sondern meist, um Bedürfnisse mitzuteilen oder Informationen zu geben. Ihr Sprachgebrauch ist in sich gleichförmig oder für das Alter unüblich differenziert, dabei jedoch oft monologisierend. Es zeigen sich Sonderinteressen, oder exzessiv einseitige Beschäftigungen. Dabei ist eine Tendenz zur Ordnung und Reihung zu beobachten. Verstöße gegen die dem Kind innewohnende Vorstellung können zu Schrei- und Wutanfällen führen. Gleiches gilt für die Abweichung von gewohnten, vom Kind aber stets auch eingeforderten Vorgehensweisen im Alltag.
Die Denkleistungen sind nicht immer eng verbunden mit der sprachlichen Entwicklung, sondern können davon abweichend sein. Die vorschnelle Etikettierung lexikalischen Wissens als mögliche „Hochbegabung“ kann den Blick für notwendige Zugangsweisen zum Kind erheblich verstellen. Bei genauer Beobachtung zeigt sich die starke Eigenlenkung des Kindes ausschließlich durch solche Themen und Interessen, die es selbst bestimmt. Bei Anforderungen von außen fällt die Anpassung sehr schwer, und die Aufmerksamkeit ist begrenzt.

Formen

Autismus-Spektrum-Störungen wurden bisher durch die Abweichungen in den drei Kernbereichen der sozialen Interaktion, der Sprache und Kommunikation und der Interessen und Aktivitäten definiert.

Aufgrund neuerer Erkenntnisse wird seit einigen Jahren nur noch zwischen der „sozialen Kommunikation“ und den „restriktiven, repetitiven Verhaltensweisen, Interessen und Aktivitäten“ unterschieden. Der Begriff des Schweregrads der Autismus-Spektrum-Störung wird ausdrücklich zusätzlich eingeführt.

  • Grad 1: braucht bereits Unterstützung aber nur in geringem Ausmaß
  • Grad 2: braucht erhebliche Unterstützung
  • Grad 3: braucht durchgängig erhebliche Unterstützung

Die Unterscheidung in frühkindlichen Autismus und Asperger-Syndrom – früher allein aufgrund des Sprachvermögens und des Intelligenzniveaus – wird nicht mehr vorgenommen. Denn diese Unterscheidung bildete den Schweregrad und die Beeinträchtigung der Teilhabe der Betroffenen nicht ab. Für das Ausmaß der Beeinträchtigung der Teilhabe am täglichen Leben in Familie, Schule und Beruf spielen neben der Schwere die folgenden Aspekte, bzw. die folgenden zusätzlichen Beeinträchtigungen eine wichtige Rolle:

  • Ausmaß der geistigen Fähigkeiten
  • Vorliegen einer Sprachentwicklungsstörung
  • Verbindung mit bekannten medizinischen, genetischen Krankheiten
  • Verbindung mit Risikofaktoren im sozialen Umfeld
  • Verbindung mit entwicklungsneurologischen, psychologischen Störungen oder Verhaltensstörungen

Ursachen

Es gibt verschiedene Ansätze der Erklärung des Auftretens einer Autismus-Spektrum-Störung. Wir gehen heutzutage davon aus, dass genetische Veranlagungen und Ursachen die Hauptrolle spielen. Als sogenannte neurobiologische Erklärungsansätze kommen in Frage (siehe unten Diagnostik):
  • Genetik (inkl. sogenannte Syndrome)
  • neurometabolische Störungen
  • immunologische Besonderheiten
  • neuroanatomische oder neurofunktionelle Befunde

Diagnostik

Die Diagnostik auf Autismus-Spektrum-Störungen im Kindesalter beginnt mit der aufmerksamen Registrierung der von Eltern berichteten Symptomatik. Es ist wesentlich, hier keine vorschnelle Zuordnung zu treffen, aber gleichzeitig früh und intensiv die hohe Belastung der Eltern zu erkennen und die Familien einer entsprechenden Hilfestellung zuzuführen.

Es gibt keine eindeutig beweisende Untersuchung, z. B. keinen Labortest oder Schichtbildgebung. Es handelt sich um eine klinische Einschätzung durch eine ExpertIn, wobei zusätzliche etablierte Untersuchungsgänge und -verfahren angewendet werden können.

Auch bestimmte Fragebögen können hilfreich sein. Bei der Untersuchung muss bedacht werden, dass eine Vielzahl anderer Krankheitsbilder ähnliche Symptome aufweisen können.

Wichtige Instrumente bei einer standardisierten Untersuchung sind ein Eltern-Interview („ADI-R“) und ein Beobachtungsverfahren (ADOS). Es ist aber festzuhalten, dass kein übergreifend für alle Alters- und Begabungsniveaus gleich guter, allgemeingültiger „Test auf Autismus-Spektrum-Störung“ existiert.

Weitere Fragen

Was muss ich über die Genetik von Autismus-Spektrum-Störungen wissen?
Bereits die Erstbeschreiber der Autismus-Spektrum-Störungen hatten an mögliche genetische Ursachen des von ihnen beschriebenen Krankheitsbildes gedacht, nachdem die Verhaltensweisen nicht durch andere Erkrankungen oder Umgebungsfaktoren erklärbar waren (auch wenn dies über lange Zeit versucht wurde). Weitere Hinweise ergaben sich über Untersuchungen an Zwillingen und ganzen Familien. In den Untersuchungen wurde deutlich, dass die Autismus-Spektrum-Störungen keine Erkrankung sind, die auf ein einziges, typisches Gen zurückzuführen sind.
Wann muss hauptsächlich an eine genetische Ursache bei Autismus-Spektrum-Störungen gedacht werden?
Eine genetische Untersuchung steht gerade bei Autismus-Spektrum-Störungen im Zentrum der Untersuchungen, wenn man nach einer Ursache sucht und keine weiteren Symptome vorhanden sind, die auf eine bestimmte Erkrankung hindeuten. Es gibt aber auch das „Recht auf Nichtwissen“.
Eine Untersuchung ist besonders dann als sinnvoll zu erachten, wenn aufgrund zusätzlicher Besonderheiten der Verdacht auf das Vorliegen einer syndromalen Erkrankung vorliegt. Denn der Nachweis bekannter genetisch definierter Syndrome ermöglicht Aussagen über weitere Begleiterkrankungen, die Behandelbarkeit einzelner Symptome und auch den weiteren Verlauf. Da eine Autismus-Spektrum-Störung fast immer zu einer schweren sozialen Beeinträchtigung und Beeinträchtigung der Teilhabe führt, hat dies auch Bedeutung für den Lebensalltag der Betroffenen.
Vorteile und Nachteile eines genetischen Tests bei Autismus-Spektrum-Störungen
Wenn bei Autismus-Spektrum-Störungen ein Nachweis einer genetischen Ursache gelingt, so kann man teilweise, allerdings eher selten, mehr über den konkreten Verlauf der Erkrankung vorhersagen. Da ohnehin keine Behandlung der Kernsymptome mit Medikamenten möglich ist, ergeben sich auch durch eine genetische Untersuchung keine Hinweise in dieser Richtung. Anders ist dies möglicherweise, wenn zusätzlich auch epileptische Anfälle vorliegen, wie es gar nicht so selten der Fall ist. Dann kann es Hinweise geben, welche Behandlung am besten wirksam ist. Dies betrifft aber auch nur Einzelfälle, z. B. bei tuberöser Sklerose. In sehr wenigen Fällen findet man sogar eine Ursache, bei der eine gezielte Behandlung möglich ist, so beispielsweise, wenn sich Hinweise auf eine Stoffwechselstörung zeigen.
Viele Familien fühlen sich sehr erleichtert, wenn eine Ursache gefunden wurde, da dies oftmals zu einer erheblichen Entlastung von Schuldgefühlen führt. Eine Zuordnung ermöglicht einen gezielteren Austausch mit anderen Familien mit gleichem Krankheitsbild.
Einschränkungen des genetischen Tests bei Autismus-Spektrum-Störungen

Eine Ursachenfindung gelingt nicht immer. Manchmal liefern die Tests auch Ergebnisse, die nicht eindeutig sind oder auch verwirrend. So z. B. wenn eine Veränderung weltweit erstmalig nachgewiesen wird oder es nur sehr wenige Menschen mit gleicher oder ähnlicher Veränderung gibt. Weitere Informationen dazu finden Sie unter „Genetische Grundlagen“ auf dieser Website. Auch ist eine präzise Vorhersage des Verlaufs für den Einzelfall nicht möglich. Es gibt zwar Versuche, möglichst „maßgeschneiderte“ Therapien für die verschiedenen genetisch bedingten Erkrankungen zu finden – dies liegt aber bis auf Einzelfälle noch in der Zukunft.

WEITERFÜHRENDER LINK

(mehr Infos zum Thema Autismus)