Untersuchungen

Welche Untersuchungs­methoden gibt es?

Grundsätzlich muss man zwischen zwei genetischen Untersuchungen unterscheiden.

Diagnostische genetische Untersuchung
Diagnostische genetische Untersuchungen sind Untersuchungen an einer Person, welche bereits erkrankt ist. Das Ziel hierbei ist es, in der DNA/dem Erbgut die Ursache der Erkrankung zu finden. Eine solche Untersuchung darf jeder Arzt anfordern. Vor einer diagnostischen Untersuchung kann eine genetische Beratung erfolgen, sie ist jedoch nicht verpflichtend. Eine Einwilligung ist jedoch in jedem Fall erforderlich.
Prädiktive genetische Untersuchung
Eine prädiktive genetische Untersuchung hingegen ist eine genetische Untersuchung an (klinisch) gesunden Personen. Meist besteht der Verdacht, dass der oder die Untersuchte eine Krankheit haben, oder Veränderungen im Erbgut tragen könnte, weil dies bereits für andere Familienmitglieder nachgewiesen wurde. Das Ziel ist also abzuklären, ob eine Veränderung geerbt wurde oder nicht. Mit dieser Information kann dann auch das Risiko, dass es im Verlauf des Lebens zur Erkrankung kommt, genauer eingeschätzt werden. Eine derartige Untersuchung darf nur durch Fachärztinnen und -ärzte für Humangenetik oder andere Ärzte mit spezieller Qualifikation in die Wege geleitet werden. Vor einer prädiktiven Untersuchung muss zwingend eine genetische Beratung erfolgen.

Recht auf Nichtwissen

In der Medizin und der Humangenetik gibt es das sogenannte „Recht auf Nichtwissen“: Sie können selbst entscheiden, welche Informationen und Ergebnisse Sie erhalten möchten und welche nicht. Es gibt keinen Zwang für eine Untersuchung und Sie können sich jederzeit gegen eine genetische Testung entscheiden und genetische Risiken nicht abklären lassen. Außerdem können Sie sich auch nach Beginn einer Untersuchung entscheiden, die Ergebnisse nicht erfahren zu wollen. Auch die Einwilligung zu einer genetischen Untersuchung kann jederzeit widerrufen werden.

Untersuchungs­methoden

Es gibt eine Vielzahl an genetischen Untersuchungsmethoden.

Normalerweise wird eine normale Blutprobe entnommen, wie es auch beim Hausarzt gemacht wird. In Ausnahmefällen können auch Zellen der Mundschleimhaut untersucht werden – hierzu wird mit einer Art Wattestäbchen das Mundinnere abgestrichen.

Untersuchungen der Kopienzahl

„Normale“ Chromosomen­analyse
Je nach Fragestellung oder Verdachtsdiagnose kann man beispielsweise die kompletten Chromosomen (= „Bücher“ aus den Videos) untersuchen und sehen, ob dort größere Auffälligkeiten vorliegen. So ließe sich unter anderem feststellen, wenn von einem Chromosom drei statt zwei Kopien vorhanden sind, wie es bei der Trisomie 21 (Down-Syndrom, dreimal das Buch Nummer 21) zu finden wäre. Außerdem könnte man mit einer solchen Chromosomenanalyse sehen, wenn in einem Buch viele Kapitel doppelt vorkommen oder viele Kapitel fehlen, weil das Buch dann dicker oder dünner ist, als es sein sollte. So sieht dann zum Beispiel eine „normale“ Chromosomenanalyse aus, wie sie seit Jahrzehnten durchgeführt werden kann. Diese Untersuchungsmethode wird auch als „Karyogramm“ bezeichnet.
karyogramm
Array-CGH
Darüber hinaus gibt es die Array-CGH (Array-based Comparative Genomic Hybridization), eine weitere Methode, mit welcher Veränderungen in der Kopienzahl festgestellt werden können. Hier fehlt also kein ganzes Buch und es kommt kein ganzes Buch doppelt vor, wie man es mit einer normalen Chromosomenanalyse  herausfinden könnte, sondern es fehlen in einem Buch mehrere Kapitel/Bauanleitungen.
CGH
MLPA
Manchmal sind auch nur bestimmte Gene (= Bauanleitungen/Kapitel) in zu vielen oder zu wenigen Kopien vorhanden, die Anzahl der Chromosomen aber unverändert. Dies ähnelt einem Buch, in dem beispielsweise einzelne Kapitel fehlen oder doppelt und dreifach vorhanden sind. Auch hierfür gibt es spezielle Untersuchungsmöglichkeiten wie die MLPA (multiplex ligation dependent probe amplification).
MLPA

Untersuchungen der Buchstabenabfolge

Next-Generation-Sequencing
Nicht nur die Anzahl der Kopien von Büchern und Bauanleitungen kann wichtig sein, sondern auch die Buchstabenabfolge in den Büchern und Kapiteln selbst. Ist beispielsweise ein Rechtschreibfehler in einem Kapitel oder fehlt ein einzelnes Wort in einer der Bauanleitungen, dann reicht das oftmals schon aus, dass die Bauanleitung nicht mehr verwendet werden kann. Solche Untersuchungen werden mit dem sogenannten „Next-Generation-Sequencing“ (NGS) durchgeführt. Dieses kann sehr viele Buchstaben gleichzeitig lesen und auswerten. Hierunter fallen Untersuchungen wir eine Genomanalyse, eine Exomanalyse und eine Paneluntersuchung. Bei einer Genomanalyse werden alle Bücher inklusive der Leerzeilen und leeren Seiten gelesen und ausgewertet. Bei einer Exomanalyse hingegen werden nur die Kapitel ausgewertet, welche tatsächlich eine Bauanleitung enthalten. Leere Seiten, Leerzeilen und andere Stellen in den Büchern werden dann nicht analysiert. Bei einer Paneluntersuchung werden nur die Kapitel ausgewertet, von denen man weiß, dass sie Bauanleitungen enthalten, die für die vermutete Erkrankung wichtig sind.
NGS
Sanger-Sequenzierung
Außerdem kann man mit der sogenannten Sanger-Sequenzierung) die Reihenfolge der Basen („Buchstaben in der Bauanleitung“ aus dem Video) an einzelnen Stellen untersuchen und versuchen, kleinere und größere Fehler zu finden. Hiermit kann jedoch nicht das ganze Erbgut (= alle Bücher) untersucht werden, sondern nur ein sehr kleiner Teil (beispielsweise eine einzelne Bauanleitung/ein einzelnes Kapitel des Buches).
Sanger
Jede genetische Untersuchungsmethode hat technisch bedingte Grenzen – die erhaltenen Ergebnisse sind also nie zu 100 % sicher. Außerdem können genetische Untersuchungen niemals alle genetischen Risiken ausschließen – eine unauffällige genetische Untersuchung ist also niemals eine Garantie dafür, dass in der Familie oder bei der einzelnen Person keine genetische Erkrankung vorliegen kann.

Ergebnisse verstehen

Einordnung von Befunden, Sicherheiten und Unsicherheiten.
Die Ergebnisse einer Untersuchung können unterschiedlich ausfallen. Man sollte sich VOR der Testung damit befassen, welche jeweiligen Ergebnisse es gibt und welche persönlichen, gesundheitlichen und sozialen Folgen dies für einen selbst haben könnte.

Unauffälliges Ergebnis

Dies bedeutet, dass bei der Untersuchung keine Auffälligkeiten herausgekommen sind, welche die Erkrankungen erklären könnten. Allerdings schließt dies eine genetische Erkrankung nicht aus. Denn für viele Erkrankungen sind noch gar nicht alle ursächlichen Gene bekannt. Die Untersuchungsmethoden werden zwar immer besser und genauer, können aber (wie bei allen technischen Prozeduren) Veränderungen „übersehen“.

Außerdem sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass niemals alle Gene oder möglichen Veränderungen untersucht werden können, sondern nur diejenigen, die mit der jeweiligen Erkrankung zusammenhängen. Eine unauffällige Testung kann also andere erbliche Erkrankungen nicht ausschließen.

Nachweis einer Mutation oder anderen genetischen Veränderung
Wenn die genetische Testung die Ursache für die Erbkrankheit findet, ist diese somit geklärt. In vielen Fällen ist dies bereits eine Erleichterung, weil nun eine konkrete Diagnose feststeht. Ob eine Behandlung möglich ist und wie diese aussieht, ist von Krankheit zu Krankheit sehr unterschiedlich. Sobald die Mutation bekannt ist, kann meist ziemlich genau vorhergesagt werden, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, diese Veränderung oder die Erkrankung weiterzuvererben.

Außerdem können nun andere Familienangehörige gezielt auf dieselbe Veränderung hin untersucht werden. Daran lässt sich feststellen, ob sie vielleicht auch die Mutation in sich tragen und Überträger sein könnten oder nicht.

Unklares Ergebnis

In manchen Fällen werden Veränderungen im Erbgut gefunden, über die man zu wenig weiß, um einschätzen zu können, ob sie harmlos sind oder eine Erkrankung verursachen. Oftmals kann nach ein paar Jahren eine genauere Einordnung vorgenommen werden. Für die Familie bringt der Nachweis einer solchen Veränderung im ersten Augenblick keine zusätzlichen Informationen und kann zu Unsicherheit führen. Hier kann es helfen, weitere Familienangehörige zu untersuchen, um die gefundene Veränderung besser einschätzen und beurteilen zu können.

Die Information, wer in der Familie noch diese Veränderung trägt oder erkrankt ist, hilft uns bei dieser Einordnung. Es geht hierbei nicht darum, einen möglichen „Schuldigen“ zu finden. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn nur eine Person in der Familie diese Veränderung hat, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Mutation tatsächlich für die Erkrankung zuständig ist. Wenn es andere gesunde Familienangehörige gibt, die ebenfalls die Veränderung haben, insbesondere die Eltern, dann hat dies eher keine Bedeutung.

Klassen/Einstufungen

Die Genetik teilt die gefundenen Veränderungen in aktuell fünf verschiedene Klassen ein, je nachdem welche Bedeutung der Mutation in Bezug auf die Symptome oder die Krankheit zugemessen wird.

Klasse I – benigne Veränderung

Unauffälliges Ergebnis: Harmlose Veränderung im Erbgut

Interpretation

Veränderung ist nicht Ursache der Erkrankung

Klasse II – wahrscheinlich benigne Veränderung

Unauffälliges Ergebnis: Vermutlich harmlose Veränderung im Erbgut

Interpretation

Veränderung ist vermutlich nicht die Ursache der Erkrankung

Klasse III – Variante unklarer Signifikanz

Unklares Ergebnis: Bedeutung der Veränderung ungeklärt

Interpretation

Veränderung kann harmlos sein oder auch die Ursache der Erkrankung – weitere Untersuchungen oder Forschung nötig

Klasse IV – wahrscheinlich pathogene Veränderung

Auffälliges Ergebnis: Vermutlich krankheitsverursachende Veränderung im Erbgut

Interpretation

Veränderung ist vermutlich Ursache der Erkrankung. Andere Familienangehörige können gezielt auf diese Veränderung hin untersucht werden, falls sie das möchten.

Klasse V – pathogene Veränderung

Auffälliges Ergebnis: krankheitsverursachende Veränderung im Erbgut

Interpretation

Veränderung ist Ursache der Erkrankung. Andere Familienangehörige können gezielt auf diese Veränderung hin untersucht werden, falls sie das möchten.